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Sich selbst zu lieben


Die Selbstliebe zu Gast


Letzte Woche in einer Aufstellungs-Arbeit mit einer Klientin stand auf einmal die „Selbstliebe“ im Raum. Anfangs war sie eher eine unscheinbare Randfigur – später wurde sie immer gehaltvoller, aufrechter und gegenwärtiger. Sie nahm Platz und Raum ein, konnte nicht mehr übersehen werden und war keinesfalls mehr etwas Nebensächliches, Geringfügiges, was am Rand bleibt.

Es wurde sehr deutlich: Selbstliebe ist ein Schlüssel zu den Sorgen, Schwierigkeiten und Hindernissen im Erleben der Klientin. Was nun tun, mit einem Gast, der ungefragt und unaufgefordert im Raum steht, und dazu noch alle Aufmerksamkeit und Konzentration sehr absichtsvoll auf sich lenkt?

Grundsätzlich ist Selbstliebe wertvoll und positiv
Über was wir oft sprechen und was wir uns wünschen und oft voraussetzten, aber oft ein karges Dasein fristet. So haben wir die Selbstliebe in unserer Arbeit willkommen geheißen und die Klientin war bereit, sich damit auseinanderzusetzen. Als Erstes beschäftigte sie die Frage: Was ist denn eigentlich „Selbstliebe“? Reicht es nicht, wenn ich weiß, dass ich mich und Andere lieben kann?

Selbstliebe ist die alles umfassende Annahme meiner selbst, in Form einer uneingeschränkten Liebe zu mir selbst. Der Begriff ist sinnverwandt, aber nicht synchron, mit den Wortbedeutungen wie Selbstannahme, Selbstachtung, Selbstzuwendung, Selbstvertrauen und Selbstwert.

Selbstliebe ist Voraussetzung
Sowohl Wissenschaftler als auch psychotherapeutische Konzepte gehen davon aus, dass ‚Selbstliebe‘ die Voraussetzung ist, um andere Menschen lieben zu können, sowie für einen guten Kontakt zu anderen Menschen und der Welt.
‚Selbstliebe‘ ist weit mehr, als nur sich und andere lieb zu haben.

Selbstwertgefühl, Selbstvertrauen, Selbstachtung, Selbstannahme sind wesentliche Aspekte der Selbstliebe und bestimmen damit nicht nur das Bild, das wir von uns selbst haben, sondern sind auch die Basis für einen wertschätzenden Umgang mit anderen Menschen.

Mit fast resignierendem Ausdruck sagte meine Klientin leise: „Genau das, was mir fehlt.“. Andererseits, dass was fehlt oder (momentan) zu wenig vorhanden ist, kann man aufbauen und erlernen. Ich frug sie, ob sie grundsätzlich das Vertrauen in sich selbst hat, dass sie ihr Leben und ihr Erleben selbst gestalten, sich Ziele setzen und ihre Ziele erreichen kann. Sie bejahte das. Grundsätzlich hat sie das, und beruflich hat sie ja gerade einen neuen Job begonnen, wo sie auch Verantwortung übernimmt. Damit zeigt sich, dass sie sowohl selbstvertrauend, als auch selbstwirksam ist.

Schwierigkeiten, sagt sie, hat sie dabei sich selbst anzunehmen. Da seien die Pölsterchen auf den Hüften, die Lust auf Schokolade besonders am Abend, die kritischen Stimmen, die ihr die Fehler vom Tag vor Augen halten. Eigentlich weiß sie ja, dass Fehler zum Lernen da sind … eigentlich

„Und was ist, wenn ich mich selbst lieben würde, würden doch die anderen denken, ich sei überheblich oder egoistisch?“ fragt sie.

Unterscheidung zu Überheblichkeit und Egoismus
Selbstliebe lässt sich sehr gut von Überheblichkeit und Egoismus abgrenzen. Egoisten oder überhebliche Menschen verhalten sich egozentrisch und wichtigtuerisch, weil sie sich nicht lieben und minderwertig fühlen. Der Unterschied ist, das egoistische Menschen selbstsüchtig und selbstverliebt sind. Im Gegensatz zur Selbstliebe ist Selbstverliebtheit ein Ausdruck von Größenwahn. Eigene Schwächen werden negiert, sie brauchen ständige Bestätigung und Bewunderung und stellen eigene Leistungen und vermeintliche Vorzüge immer in den Vordergrund. Selbstliebe dagegen nimmt sich an, wie sie ist – mit allen Stärken und Schwächen. Daher schließen sich Selbstliebe und Egoismus gegenseitig aus.

    "Alle Liebe dieser Welt ist auf Eigenliebe gebaut. Ließest du die Eigenliebe, so ließest du leicht die ganze Welt."
    Eckhart von Hochheim

Inzwischen hat sich die gespannte Atmosphäre verändert. Die Klientin betrachtete voller Interesse und Neugier die Selbstliebe. Sie begann einen inneren Dialog mit ihrer Selbstliebe zu führen. Sie öffnete sich immer mehr und erkannte, dass sie schon viele Anteile an Selbstliebe in sich trägt und in ihrem Leben verankert hat. Dennoch sieht sie weiteres Potenzial und Notwendigkeiten, an ihrem Selbstvertrauen, ihrer Selbstakzeptanz, ihrem Selbstwert zu arbeiten. Ihre Stärken und Schwächen anzuerkennen, ihre Wünsche und Sehnsüchte, ihre Werte und Normen. Mit einem Lächeln stellt sie fest, dass es sich jetzt viel leichter anfühlt. Wie verliebt sein – in sich selbst.

Mit diesem neuen Grundgefühl und der Selbstliebe an ihrer Seite war es leicht, ihre schwierige Situation erneut und gestärkt zu betrachten und neue Lösungs- und Handlungsmöglichkeiten zu finden.

Ein wundervolles Ergebnis einer Aufstellungsarbeit. Ich wünsche meiner Klientin und Ihnen viel Liebe und verliebt sein – in sich selbst.
Ihre Kathrin Stavenhagen

Dieses wundervolle Essay von Charlie Chaplin möchte ich Ihnen nicht vorenthalten:

    Charlie Chaplin – Als ich mich selbst zu lieben begann …


    Als ich mich selbst zu lieben begann,
    habe ich verstanden, dass ich immer und bei jeder Gelegenheit,
    zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin
    und dass alles, was geschieht, richtig ist
    von da an konnte ich ruhig sein.
    Heute weiß ich: Das nennt man VERTRAUEN.

    Als ich mich selbst zu lieben begann,
    konnte ich erkennen, dass emotionaler Schmerz und Leid
    nur Warnungen für mich sind,
    gegen meine eigene Wahrheit zu leben.
    Heute weiß ich: Das nennt man AUTHENTISCH SEIN.

    Als ich mich selbst zu lieben begann,
    habe ich aufgehört, mich nach einem anderen Leben zu sehnen
    und konnte sehen, dass alles um mich herum eine Aufforderung zum Wachsen war.
    Heute weiß ich, das nennt man REIFE.

    Als ich mich selbst zu lieben begann,
    habe ich aufgehört, mich meiner freien Zeit zu berauben,
    und ich habe aufgehört, weiter grandiose Projekte für die Zukunft zu entwerfen.
    Heute mache ich nur das, was mir Spaß und Freude macht,
    was ich liebe und was mein Herz zum Lachen bringt,
    auf meine eigene Art und Weise und in meinem Tempo.
    Heute weiß ich, das nennt man EHRLICHKEIT.

    Als ich mich selbst zu lieben begann,
    habe ich mich von allem befreit, was nicht gesund für mich war,
    von Speisen, Menschen, Dingen, Situationen
    und von Allem, das mich immer wieder hinunterzog, weg von mir selbst.
    Anfangs nannte ich das Gesunden Egoismus,
    aber heute weiß ich, das ist SELBSTLIEBE.

    Als ich mich selbst zu lieben begann,
    habe ich aufgehört, immer recht haben zu wollen,
    so habe ich mich weniger geirrt.
    Heute habe ich erkannt: das nennt man DEMUT.

    Als ich mich selbst zu lieben begann,
    habe ich mich geweigert, weiter in der Vergangenheit zu leben
    und mich um meine Zukunft zu sorgen.
    Jetzt lebe ich nur noch in diesem Augenblick, wo ALLES stattfindet,
    so lebe ich heute jeden Tag und nenne es BEWUSSTHEIT.

    Als ich mich zu lieben begann,
    da erkannte ich, dass mich mein Denken
    armselig und krank machen kann.
    Als ich jedoch meine Herzenskräfte anforderte,
    bekam der Verstand einen wichtigen Partner.
    Diese Verbindung nenne ich heute HERZENSWEISHEIT.

    Wir brauchen uns nicht weiter vor Auseinandersetzungen,
    Konflikten und Problemen mit uns selbst und anderen fürchten,
    denn sogar Sterne knallen manchmal aufeinander
    und es entstehen neue Welten.
    Heute weiß ich: DAS IST DAS LEBEN!

    „Charlie Chaplin zu seinem 70. Geburtstag, am 16. April 1959“

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